Who’s Afraid of America? – Glaube und Freiheit (2008)

Erstausstrahlung: 21. Oktober 2008, arte
55 min.

Quo vadis, America? – „Who’s Afraid of America?“ beschreibt den Zustand einer Nation in der Vorwahlzeit zur Präsidentenwahl 2008 und macht schlaglichtartige Bestandsaufnahmen der amerikanischen Gesellschaft. Sie kommentiert und analysiert das, was die USA so faszinierend und furchterregend zugleich erscheinen lässt – aus der Perspektive der Musik und ihrer Protagonisten. In dieser Folge: Von New York bis in den südlichsten Zipfel des Bible Belt – „Who’s Afraid of America?“ betreibt Spurensuche in God’s Own Country. Gläubige und Ungläubige, Fundamentalisten und vor allem jene Individualisten aus Pop und Literatur kommen zu Wort, für die Amerika immer noch das „Land of the Free“ ist – und sei es nur ihr eigenes, ganz privates Land, das nur in ihren Köpfen existiert. Wie für frühere Einwanderer beginnt die Reise in New York: Dort treffen Filmemacher Tom Theunissen und sein Kamerateam zwei Freidenker, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Dr. John und Jello Biafra, Sänger der legendären Punkband Dead Kennedys. Beide machen in der Metropole Station. Dr. John hat durch Hurrikan Katrina sein Haus verloren und lebt jetzt in Harlem, New York. „I been in the right place, but it must have been the wrong time“, sang Dr. John vor 35 Jahren. Dr. John hat mit „City that Care Forgot“ (2008) ein zorniges Album veröffentlicht, das sich mit dem Versagen der Politik während der Hurrikan-Katastrophe beschäftigt. Ungewöhnlich für Dr. Johns bisheriges Schaffen: Verwurzelt in der Geschichte von New Orleans, gibt er zudem Auskunft über die tiefe Religiosität der Bewohner des Mississippi-Deltas, denen er sich verpflichtet fühlt. Jello Biafra ist seit 2000 Redner eines Hacker-Kongresses, wobei der Begriff „Redner“ etwas untertrieben ist: Biafra ist ein Prediger wie schon zu Zeiten der „Dead Kennedys“, als er mit wütenden Attacken gegen die Politik der USA Stellung bezog. „Kill the Poor“ und „Holiday in Cambodia“ heißen die Punk-Klassiker, die musikalischen Punk-Predigten der 80er Jahre. Jetzt predigt Biafra gegen Datenmissbrauch und lässt es sich nicht nehmen, auf dem Hacker-Kongress als Pfarrer aufzutreten. In Berlin, Ohio, treffen die Filmemacher die Amish People. Sie leben ohne Strom, Telefon, Auto und andere Entwicklungen der Zivilisation. Immerhin hat die Gemeinde sich dem Tourismus ein Stück weit geöffnet. Wie konsequent kann man seinen Glauben leben, jegliche Gegenwart verweigern und sich dennoch frei dabei fühlen? Zudem: Sind die Amish People politisch? Wie informieren sie sich dann über die Kandidaten? Anders liegt der Fall der spiritualistischen Gemeinde Cassadaga, Florida. 1895 gegründet, ist sie die Heimat der Wahrsager und Erleuchteten, die in den Karten die Zukunft des Landes sehen. Wird Obama Präsident? Das Kamerateam fährt zu Reverend Ben Cox und lässt sich erklären, warum die Welt hier weniger schlimm ist als anderswo. Am Klavier intoniert der Reverend den Elvis-Gospel-Song „How Great Thou Art“. Und auch Conor Oberst von den Bright Eyes war schon einmal da, um Kraft zu tanken für die feindliche Welt außerhalb. „Like a newly orphaned refugee, retracing my steps. All the way to Cassadaga to commune with the dead. They said: You’d better look alive“ (aus: „Four Winds“, Album Cassadaga). Weiter geht es nach Ave Maria, Florida, wo der Pizza-Milliardär Tom Monaghan eine Gemeinde nur für „echte“ Christen aufbaut, um amerikanische Seelen vor der Hölle zu retten. 11.000 Wohnungen sollen es werden, dazu kommt eine „reine“ katholische Universität. Einige Hundert Studenten sind schon eingezogen, streng nach Geschlechtern getrennt. Pornografie und Verhütungsmittel sind in Shops der Stadt verboten. Freiwillig beschreiten die Einwohner den Weg der Tugend, den Ex-Präsident Bush scheinbar stets vorgelebt hat. In Atlanta, Georgia, ist ARTE bei einem Konzert von Tramaine Hawkins dabei, der Gospel-Königin Amerikas. Sie ist zutiefst gottgläubig und ausgestattet mit einem schönen Sopran. Reverend Ben erzählt vor Ort über die Verbindung von Musik und tiefer Gläubigkeit im Bible Belt der USA. „Who’s Afraid of America“ fragt: Ist es denn wirklich wahr, dass in Amerika die Uhren der Geschichte rückwärts gedreht werden? Und dass allein das Wort Veränderung – „Change!“ in Obamas Wahlkampf – eine Bedrohung darstellt? Da hilft nur der Rückgriff auf jene Freigeister und Individualisten wie Jim Dickinson, der schon mit den Rolling Stones gespielt und für Bob Dylans „Time out of Mind“ in die Tasten gegriffen hat. Er gibt ein Ständchen am Klavier auf seiner unaufgeräumten Zebra-Ranch. Dagegen vermittelt Pulitzer-Preisträger Richard Ford sicherlich ein geradlinigeres Bild amerikanischer Befindlichkeit. Mit Ironie und Sarkasmus setzt sich Ford präzise mit dem Thema „Glaube und Freiheit“ in God’s Own Country auseinander. Die Protagonisten des ersten Teils: Richard Ford , Jello Biafra (Politaktivist und Punk-Musiker), Dr. John (R&B-Musiker), Amish People, Kreationisten, Jim Dickinson, Tramaine Hawkins , Reverend Ben Cox von Cassadaga, Universität Ave Maria, Victoria Williams. (Text: ARD/arte)

Regie: Tom Theunissen
Schnitt: Philip Kießling
Produktion: MME Moviement