Durch die Nacht mit… Günter Wallraff & Daniel Domscheid-Berg (2014)

Erstausstrahlung: 2. Februar 2014, 52 min.

Bereits auf der Fahrt zur ersten Location geht es zur Sache: Domscheit-Berg raubt Wallraff jede Illusion, dass er noch Telefonate führen kann, die nicht zurückverfolgt werden können. Leicht amüsiert registriert er, dass Wallraff aus Sicherheitsgründen eine entferntere Telefonzelle aufsucht oder mit nicht registrierten Telefonkarten hantiert. „Nicht registriert gibt es nicht“, stellt er lakonisch fest. Im berühmten Vasa-Schiffsmuseum kommen sie von dem bei einer Jungfernfahrt gesunkenen Kriegsschiff schnell auf die wesentlichen Themen. „Widerstand hat es immer gegeben“, vermutet Wallraff, während Domscheit-Berg resümiert, dass Regierungsgroßprojekte grundsätzlich keine gute Idee seien. Das Thema des Abends kristallisiert sich heraus: Wie kann die Welt gerechter werden und welche Rolle spielen Internet und Datensicherung dabei? In einem Rechenzentrum, das wie eine Kulisse aus einem James-Bond-Film aussieht und bei dem Wikileaks zeitweise eine Heimat gefunden hatte, wollen sie der Sache auf den Grund gehen. Dafür treffen sie den Internet-Pionier Peter Sunde, der für seine Mitarbeit an dem File-Sharing-Dienst „The Pirate Bay“ in Schweden von Hollywood-Studios verklagt und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt worden war – wegen Verletzung des Urheberrechts in Millionen Fällen. Obwohl sich Wallraff im Gespräch vehement für die Erhaltung des Urheberrechts einsetzt, ist deutlich erkennbar, dass ein echter Austausch zwischen den Generationen stattfindet. Die beiden Nerds Sunde und Domscheit-Berg haben großen Respekt vor ihm. „Weißt Du, dass Du sogar ein eigenes Wort in der schwedischen Sprache hast – wallraffing?“ fragt Sunde den Journalisten. Ein bisschen „wallrafft“ der Angesprochene dann tatsächlich in der nächsten Location. Im Vorort Fittja steht die einzige Moschee Schwedens, die freitags zum Gebet rufen darf, und in der Wochen zuvor Schweinefüße gefunden worden waren. Wallraff lässt nicht locker, als sie durch die Moschee geführt werden. Warum kein Orhan Pamuk in der Bibliothek stünde und ob es Probleme mit dem Nachbarn gäbe – immer wieder fragt er naiv-freundlich nach und siehe da – ihr Gesprächspartner taut langsam auf. Auch Wallraff und Domscheit-Berg werden privater. Im Restaurant stellen sie nicht nur fest, dass beide in ihrer Jugend zu den schnellsten Läufern Deutschlands zählten, sondern auch, dass sie eine herzliche Abneigung gegen ihr schwedisches Knödelgericht verbindet. Wallraff wagt sich vor und bietet sich als Mediator zwischen Julian Assange und Domscheit-Berg an, kann damit aber nicht landen. Dafür erweist sich Domscheit-Berg als unerschöpflicher Quell geheimen Wissens. Er weiß, wofür die USA Assange mithilfe eines FBI-Informanten wirklich rankriegen will und erklärt Wallraffs langjährigen schwedischen Freunden, die im Laufe des Abends dazustoßen, zu deren Erstaunen, wo ihr Geheimdienst FSR alle Daten aufzeichnet, die von und nach Schweden kommuniziert werden. Aber erst als eine schöne Frau mit einem irritierenden Blick dazustößt, wird es persönlich. Die Künstlerin Anna Odell hatte mit einem vorgetäuschten Selbstmordversuch die Psychiatrie Schwedens an den Pranger gestellt und war dafür vor Gericht gelandet. Eine Gesprächspartnerin in Augenhöhe, befinden beide, und sind dennoch nicht darauf vorbereitet, dass Odell auch da noch nachfragt, wo es unangenehm wird. Das Schönste kommt – zumindest für Wallraff – am Schluss: Tischtennis spielen. In einer Late Night Bar erweist sich Domscheit-Berg als fähiger und ehrgeiziger Spieler und wird damit endgültig in Wallraffs inneren Kreis aufgenommen. „War schön“, finden beide und scheinen beim Abschied fast ein bisschen erstaunt über die menschliche Nähe, die entstanden ist.
(Text: arte)

Regie: Edda Baumann- von Broehn
Schnitt: Philip Kießling
Produktion: avanti media

 

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