Durch die Nacht mit… Michael Haneke & Ferdinand von Schirach (2010)

Erstausstrahlung: 08.08.2010, arte
52 min.

Beim ersten Aufeinandertreffen im Garten von Hanekes Hotel wird sofort klar, dass sich diese zwei Männer mit großer gegenseitiger Bewunderung begegnen. Die Nacht in Venedig bietet ihnen außergewöhnliche Themen zum Gespräch. Michael Haneke ist zweifellos einer der wichtigsten und schonungslosesten Filmemacher der Gegenwart („Die Klavierspielerin“, „Das weiße Band“). Ferdinand von Schirach beendet gerade seine einmonatige Schreibklausur in seinem selbst gewählten Exil Venedig. Nur zu gern lässt er sich von Michael Haneke, der hier vor 25 Jahren den Film „Wer war Edgar Allan?“ drehte, durch einen venezianischen Abend begleiten. Auch bei der Fahrt mit dem Wassertaxi in die Altstadt geht es um das Schreiben, das Filmemachen und die Strenge, die beide dabei walten lassen. „Einfach die Adjektive weglassen“, erklärt von Schirach das Geheimnis seines viel gelobten Schreibstils. Beim Besuch einer psychiatrischen Klinik sehen sich die zwei Erkunder menschlicher Untiefen einer Herausforderung ausgesetzt. Der exaltierte Professor Ramaciotti sorgt mit radikalen Thesen und seiner rustikalen Art für Staunen. Die perfekte Erholung bietet da der Austausch mit der Opernkomponistin Olga Neuwirth beim Abendessen am Wasser, während die Sonne in der Lagune versinkt. Am Markusplatz besuchen die beiden Nachtschwärmer den eigens für sie geöffneten Dogenpalast, eilen durch alte Gefängniszellen und beurteilen den Komfort der Unterbringung. Im traditionsreichen „Caffé Florian“ wartet anschließend Schauspieler Ulrich Tukur und bringt in bester Laune noch einmal Humor in den ausklingenden Abend. Die Begegnung von Ferdinand von Schirach und Michael Haneke, die sich beruflich fast ausschließlich mit ernsten und düsteren Themen auseinandersetzen, ist ein erstaunlich gut gelauntes und von großer Sympathie getragenes Treffen vor der unschlagbaren Kulisse des abendlichen Venedigs. Fast zwei Jahrzehnte arbeitete Michael Haneke als Theater- und Fernsehregisseur, bevor er 1989 seinen ersten Kinofilm „Der siebente Kontinent“ drehte. Seitdem hat er das europäische Kino stark geprägt und ist mit allen bedeutenden Auszeichnungen von der Goldenen Palme bis zum Europäischen Filmpreis bedacht worden. In Filmen wie „Funny Games“ (1997), „Die Klavierspielerin“ (2001), „Caché“ (2005) und „Das weiße Band“ (2009) seziert Haneke die Brüche der bürgerlich-protestantischen Lebensweise, ihre Schuldhaftigkeit, Feigheit, unterdrückte Aggression und die fehlende Kommunikation. Diese Filme sind oft verstörend und irritierend. Beim Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach, 45, ist das Ungeheuerliche der Normalfall. Zu seinen Mandanten zählen sowohl Axtmörder, Kannibalen und Gangster als auch Prominente und Großindustrielle. Er verteidigte den BND-Spion Norbert Juretzko, den SED-Bezirkssekretär und ungewollten Maueröffner Günter Schabowski wegen Schussbefehlen an der Mauer und den „Psycho-Arzt“ Garri R. wegen Tötung von Patienten durch LSD und Ecstasy. Für von Schirach hat jedes Verbrechen eine Geschichte und jeder Täter seine Gründe. Letztes Jahr veröffentlichte von Schirach seine erste Kurzgeschichtensammlung „Verbrechen“, in der er so einfühlsam wie sachlich über seine seltsamsten Fällen berichtet. Auch in von Schirachs Familiengeschichte sind Verbrechen und Schuld ein zentrales Thema. Sein Großvater Baldur von Schirach war Reichsjugendführer und Gauleiter in Wien. Er war schuldig am Tod von mindestens 60.000 Menschen, die – weil sie Juden waren – in die Gaskammern deportiert wurden. Er entkam der Todesstrafe durch den Strick bei den Nürnberger Prozessen und wurde zu 20 Jahren Haft im Spandauer Kriegsverbrecher-Gefängnis verurteilt. (Text: Avanti Media)

Regie: Hasko Baumann
Schnitt: Philip Kießling
Produktion: avanti media

 

 

Clip 1

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Clip 3

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